Religion und Spiritualität

„Bei tief religiösen Menschen gibt es oft schmerzliche Verletzungen, die von der Kirche her rühren.“

Franz Jalics SJ

 

Mein Lieblingsmeditationsmeister, Franz Jalics, hat das in seinem 1994 veröffentlichten Buch, „Kontemplative Exerzitien“ auf S.302 geschrieben.

 

Das war lange vor den öffentlichen Erkenntnissen über die sexuellen Missbrauchsverbrechen. Und es gibt im kirchlichen Kontext auch viele andere Arten von körperlicher und/oder psychischer Gewalt.

 

Dabei ist es mir wichtig, auch auf die andere Seite hinzuweisen - auf die, die ehrliche und gute Seelsorge bereithalten und unendlich viel Gutes damit tun. So jemand war der Jesuit Franz Jalics.

 

Er sprach, bezüglich der Kirche, aus eigener Erfahrung. Daher war es gerade für kirchliche MitarbeiterInnen wohltuend, dass sie sich hier verstanden erlebten. Es gibt Menschen, die die Kirche lieben und weiter in ihr arbeiten wollen. Sie wollen das Gute wahren und das andere ändern.

 

Im von Franz gegründeten Exerzitienhaus, in Gries in Oberfranken, konnten viele Menschen ihre traumatischen Erlebnisse vor das Angesicht Gottes bringen. Wieviel Heilung da geschehen ist, kann ich nicht beurteilen. Mir hat diese kontemplative Art der Meditation jedenfalls ungeheuer gut getan.

 

Übrigends: Kirchenmitglied zu sein, oder überhaupt zu glauben, war nie die Voraussetzung dafür, diese Exerzitien mitmachen zu dürfen.

 

Nachdem ich sehr viel Erfahrung im kirchlichen Kontext habe (vgl. meine Vita), kenne ich auch die verschiedenen Hürden für kirchliche MitarbeiterInnen. Dies ob Sie nun professionell oder ehrenamtlich arbeiten. Ich kenne die speziellen Dilemmata; auch angesichts der hohen Ideale.

 

Ich selbst wäre im letzten Jahrhundert fast einmal aus der Kirche ausgetreten. So verstehe ich die Menschen gut, die sich dafür entschieden haben; auch wenn ich mich entschieden habe, zu bleiben.

 

Für die Psychotherapie gläubiger Menschen finde ich einen Hinweis des Gründers der Jesuiten, Ignatius von Loyola, besonders hilfreich: Er spricht von der Versuchung im Schein des Guten. Diese Versuchung im Schein des Guten ist z.B. die Versuchung der Selbstüberforderung durch zu hohe Ideale. So sind engagierte Glaubende anfällig für depressive Zustände, weil Sie meinen, zu wenig zu tun, zu wenig zu lieben, zu wenig heilig zu sein. Das zieht runter. Das erschöpft und führt oft zu Burnout.

 

Eine andere Gefahr besteht darin, dass bei weniger selbstkritischen Menschen, die Fehler auf andere projiziert werden. Das führt zu Fanatismus und Gewalttätigkeit und zum Missbrauch des Namens Gottes. Wer „im Namen Gottes“ Meschen verletzt oder tötet, missbraucht den Namen Gottes.

 

Dies führt wieder innerhalb und außerhalb von Glaubensgemeinschaften zu schmerzlichen Verletzungen. Innerhalb der Religionen nennen sich die Menschen eher selbst "religiös", außerhalb sehen sie sich selbst eher als "spirituell". Ich verwende diese Begriffe synonym. Es ist immer diese Sehnsucht nach und Verbundenheit mit dem Göttlichen, dem Universum, der göttlichen Quelle, wie immer wir es nennen mögen.

 

Zu religiösen oder spirituellen Gemeinschaften gehören auch die vielen neuen Bewegungen und Gruppierungen mit Lehrern oder Gurus an der Spitze. Manche dieser Führungsgestalten, die gerne mal über (andere) Religionen negativ sprechen, sind in ihren Strukturen nicht selten einflussreicher und „unfehlbarer“ als der Papst in der Kirche. Die psychischen Herausforderungen und Verletzungen für die Mitglieder, Glaubenden oder einfach Folgenden, sind hier genauso schwerwiegend wie innerhalb der Religionen.

 

Falls Sie betroffen sind, kann eine professionelle Psychotherapie, die Ihre Glaubenserfahrungen ernst nimmt, besonders hilfreich sein. Neben Fachwissen ist auch ein gutes Gespür für die verschiedenen innerpsychischen Phänomene unabdingbar. Die praktische Erfahrung in der Unterscheidung zwischen eher hilfreichem und eher schädlichem Denken und Handeln ist hier nötig. 

 

Hierzu finden Sie auch etwas beim Thema Spiritual Care.